Als Kind ist die Welt voller Wunder und Magie. Morgentau auf Grashalmen, das Knistern und Knacken eines Lagerfeuers, Blitz und Donner… alles ist faszinierend, alles ist möglich. Und ab einem bestimmten Zeitpunkt wird alles hinterfragt. Von der Ansage der Eltern bis hin zum Naturgesetz. Wieso? Weshalb? Warum? Was die Erwachsenen manch einen Nerv kostet, ist für die kleinen Menschen wichtig, um sich ihre Umwelt zu erschließen und zu erklären.
Wieso ist diese Neugier so wichtig? Und wie kann man das Erleben und Staunen durch kleine Experimente fördern?
Kinder gehen wie kleine Wissenschaftler*innen durch ihr Leben. Jede noch so kleine Unbekannte wird genauestens unter die Lupe genommen und hinterfragt. Um zu verstehen, wie Kinder lernen, ist ein Blick auf die frühe Gehirnentwicklung nötig.
In ihrem Buch “Der Eltern Kompass” beschreibt die Wissenschaftsjournalistin Nicola Schmidt das Alter zwischen dem Ende des ersten und dem vierten Lebensjahr als „eine wichtige Lernphase“. Die Kleinen haben zu diesem Zeitpunkt nämlich zwar genauso viele Nervenzellen wie wir Erwachsenen, diese sind aber noch nicht so effektiv miteinander verknüpft. In diesem Alter werden furchtbar viele Verbindungen hergestellt: Mit drei Jahren haben die Kinder bereits doppelt so viele Synapsen wie Erwachsene. Das ist dann nur leider schon zu viel des Guten, um Impulse effektiv verarbeiten zu können (1).
Wenn das Kind also nach einem ereignisreichen Tag im Zoo, zurück zuhause, schreiend am Boden liegt und sich nicht mehr beruhigen mag (wer kennt es nicht?), kann man sicher sein, dass Zebra, Pinguin und Antilope gerade verarbeitet werden müssen. Nur auf welchem der vielen, vielen kleine Pfade im Gehirn? Das ist furchtbar anstrengend. Für das Kind mindestens so sehr, wie für die elterlichen Nerven.
Um Impulse effektiver verarbeiten zu können, wird ab diesem Zeitpunkt bis ins Jugendalter die Anzahl der Verbindungen im Gehirn wieder um die Hälfte reduziert. Was bleibt, so beschreibt es Schmidt, sind „einige große Autobahnen“ und „viele, viele ausgetrampelte Pfade“, auf denen wir uns bewegen. Das Bauen dieser Autobahnen und Pfade muss gelernt werden.
Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) beschreibt die gleiche Lebensphase von ein bis vier Jahren ebenfalls als sehr relevant. Es ist eine Phase, die von einem riesigen Wissensdurst geprägt ist. Schon beim Frühstück fragen uns die kleinen Menschen Löcher in den Bauch. Sie stellen Fragen, die uns zum Teil völlig abwegig erscheinen und deren Antworten wir nicht selten selbst heimlich ergoogeln müssen.
Das ist völlig normal, denn im dritten Lebensjahr halten die kleinen Wissenschaftler*innen nahezu alles für möglich – das Denken wird in diesem Alter von der „magischen Phase“ bestimmt. Im vierten Lebensjahr weicht dies langsam realistischeren Vorstellungen – die Kinder beginnen alles zu hinterfragen und sich ihre Welt mittels „Wieso?“, „Weshalb?“ und „Warum?“ erklären zu lassen. Das Kind vergrößert damit sein Allgemeinwissen, lernt logisch zu denken – und baut das Wegesystem im Gehirn. Die Warum-Phase ist angebrochen.
Jedes Kind durchlebt die Warum-Phase. Jedes Kind platzt in diesem Alter geradezu vor Neugier und Staunen. Aber wie können wir als Eltern, Erziehungsberechtigte und Erzieher unseren kleinen Menschen bestmöglich helfen, zu lernen? Wie können wir helfen, Autobahnen und Trampelpfade zu bauen?
Nicola Schmidt verweist in ihrem Buch auf das, was eigentlich auf der Hand liegt, wenn wir uns an unsere eigenen Kindheit zurückerinnern: Kindern lernen am Besten, was sie erleben und vorgelebt bekommen. Sie lernen besonders gut, wenn sie spielen und in Bewegung sind. Und noch besser, wenn sie draußen spielen und Natur am eigenen Leib erleben dürfen und so „ihre Wahrnehmung für alles in der Natur um sie herum“ stärken.
Jeder Elternteil kennt es wohl, wenn die geplante Wanderung bereits an der ersten Kurve ins Stocken gerät, weil dort eine Pfütze, ein Stein oder ein Regenwurm mit Hingabe erforscht werden müssen. Warum nicht einfach mal ohne Ziel losziehen und sich von der Neugierde des Kindes leiten lassen und ebenfalls staunen, was im Kleinen entdeckt und gelernt werden kann? Dafür reicht dann auch der Stadtpark oder das Feld hinterm Haus.
Auch im Buch „Wie Kinder denken lernen“ von den Hirnforschern Manfred Spitzer und Norbert Herschkowitz wird empfohlen, dass Kinder so viele eigene Erfahrungen machen dürfen sollten, wie nur möglich (S. 80) (3).
Was heißt das für uns Erwachsene? Es heißt zunächst einmal, dass wir eine große Menge Geduld brauchen, um auf die W-Fragen der kleinen Wissenschaftler*innen eingehen zu können. Es heißt aber auch, dass sie unsere Antworten am besten begreifen können, wenn wir ihnen – wo es eben möglich ist – die Chance geben, sie erleben dürfen. Die Frage “Warum muss ich Reflektoren an der Jacke haben?” lässt sich mit “Damit man dich besser sehen kann!” beantworten. Die Antwort lässt sich aber ebenso gut demonstrieren, wenn an einem grauen Herbstnachmittag verglichen wird, welche Fußgänger und Radfahrer man denn nun gut sehen kann, und welche eben nicht. Wenn man mal ehrlich ist, bringt uns das selbst doch eigentlich auch den meisten Spaß.
Um Antworten erlebbar zu machen, braucht es nicht den großen Experimentierkasten aus dem Spielzeugladen (wobei das natürlich auch supercool ist!). Es geht um klitzekleine Kleinigkeiten im Alltag, die den kleinen Wissenschaftler*innen beim Bau ihrer Autobahnen und Trampelpfade helfen, sie staunen lassen und ihre Neugier befriedigen – von der magischen Phase bis hin zum(jungen) Jugendalter (denn danach fragen sie vermutlich eher Google, als ihre Eltern. Sind wir mal ehrlich…) Zum Beispiel:
Und hey, wenn wir ohnehin googlen müssen, um die Fragenflut der Kleinen beantworten zu können, lohnt es sich, auch auf diesen Seiten vorbeizuschauen:
Wir wünschen viel Spaß beim gemeinsamen Experimentieren, Entdecken und Staunen. Und wer weiß, vielleicht bildet sich ja im Erwachsenenhirn auch noch der ein oder andere Trampelpfad?
„Der Eltern Kompass” von Nicola Schmidt (S. 167-172, 246ff.)
Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) www.kindergesundheit-info.de
„Wie Kinder denken lernen“ Manfred Spitzer & Norbert Herschkowitz (S. 80)