MARIE CURIE (1867 – 1934) ist die wohl bekannteste Wissenschaftlerin der Welt. Mit zwei Nobelpreisen – lange als einzige Person in unterschiedlichen Kategorien (1903 in Physik und 1911 in Chemie) – und als erste Frau, die diese Auszeichnung erhielt sowie Professorin in Physik an der Sorbonne wurde, schrieb sie Geschichte. Was heute eine Erfolgsgeschichte ist, war währenddessen nicht immer als solche erkennbar. Ihr Weg war geprägt von Entbehrungen, Hindernissen und Schwierigkeiten. Wie hat Marie die Stolpersteine überwunden, in jungen Jahren ihre Berufung gefunden und welche Charaktereigenschaften aber auch Faktoren haben ihr schlussendlich zu diesem großen Erfolg verholfen?
Name: Marie Curie, geb. Maria Salomea Sklodowska
Lebensdaten: 7. November 1867 in Warschau, Polen bis 4. Juli 1934 in Frankreich
Nationalität: polnisch, ging zum Studium nach Paris, Frankreich
Familie: Ehemann Pierre Curie (Heirat 1895, bis zu seinem Tod 1906), Töchter: Irène Joliot-Curie (1897-1956) und Ève Curie-Labouisse (1904-2007)
Beruf(ung): Physikerin und Chemikerin, Professorin der Physik an der Sorbonne
Leistung: Sie wies Radioaktivität nach und entdeckte die Elemente Polonium und Radium
Anerkennung: Nobelpreise 1903 in Physik (für die Entwicklung und Pionierleistung auf dem Gebiet der spontanen Radioaktivität und der Strahlungsphänomene) und 1911 in Chemie (für die Isolierung des Elements Radium)
Ziel: Mit der Entdeckung eines radioaktiven Elements die Krebstherapie vorantreiben
Besonderheit: Sie lebte für die Wissenschaft
"selbst die unwichtigste Unterhaltung eine moralische oder wissenschaftliche Lektion enthielt, dass ein Spaziergang dazu diente, ein wissenschaftliches Phänomen oder die Geheimnisse der Natur zu erklären, und dass ein Sonnenuntergang einen kurzen Exkurs über Astronomie provozierte."
Marie Curie Tweet
Die Zeit in Szczuki war für Marie nicht einfach. Sie fühlte sich nie richtig wohl und anerkannt von der Familie, bei der sie lebte und arbeite. Eine sich anbahnende Liebschaft mit Casimir Zorawski wurde im Keim erstickt und sie litt an Liebeskummer. Die Schwierigkeiten vor Ort waren ein Grund für sie, sich noch tiefer in die Wissenschaft zu vergraben und mit der Flucht in diese Welt eine Art Panzer gegen die Wirklichkeit zu erschaffen.
Als Sie dann im Alter von 23 Jahren endlich zum Studium nach Paris ziehen konnte, hatte „Mania gelernt, dass sie mit Geduld und Beharrlichkeit das scheinbar Unmögliche schaffen und ihre wahren Gefühle durch kühlen Intellekt kaschieren konnte. (…) So gewappnet, war sie in der Lage, Hindernisse wie Frauendiskriminierung oder Geldmangel sowie ihre unzureichende Vorbereitung in den Fächern Chemie und Physik auszublenden.“ (8)
In einem Brief an ihre Cousine Henrietta Michalwoska schrieb Marie bezüglich ihres Kummers in Szczuki von ihrem obersten Prinzip: „sich nicht unterkriegen lassen, nicht von den Menschen und nicht von den Ereignissen“(9). Diese Handlungsweise lernte sie zeitlebens anzuwenden. Es gelang ihr mal besser, mal schlechter. Die privaten Schicksalsschläge waren zahlreich: der Verlust ihrer Eltern, Schwiegereltern und eines Kindes, die Krankheit durch die Strahlenbelastung ihrer Arbeit, der frühe Tod ihres geliebten Mannes und Kollegen Pierre Curie, die Schlagzeilen um ihre Affäre mit Paul Langevin und öffentliche Verurteilung als Ehebrecherin. (10) Dennoch kämpfte sie sich bis zum Ende immer wieder zurück.
"Mein ganzes Denken kreiste um meine Studien. Ich verteilte meine Zeit gleichmäßig auf Kurse, Experimente und Arbeit in der Bibliothek. Abends arbeitet ich in meinem Zimmer, manchmal bis sehr spät nachts. Alles Neue, das ich entdeckte und lernte, entzückte mich. Es war wie eine neue Welt, die sich mir eröffnete, die Welt der Wissenschaft, die ich endlich in aller Freiheit erkunden durfte."
Marie Curie Tweet
"Wir lebten wie in einem Traum, von der einen, einzigen Sache erfüllt."
Marie Curie Tweet
"Die widerstrebende Materie fasziniert sie. Verbunden durch ihre Liebe und ihre geistigen Passionen, leben sie in der Bretterbaracke die unnatürliche Existenz, für die sie beide geschaffen sind."
Ève Curie-Labouisse Tweet
Die Leistung von Marie Curie ist außergewöhnlich und sie hat sich zurecht die Auszeichnungen und den Ruhm dafür erkämpft. Ich denke, dass neben der Basis für Erfolg, wie besonderes Talent, Durchsetzungsvermögen, Geduld, kontinuierliche Arbeit, ein innerer Antrieb und Visionen, auch noch Faktoren wie der richtige Zeitpunkt und die Unterstützung von anderen maßgeblich sind. Ein Umfeld, das einem den Rücken freihält, einem Möglichkeiten eröffnet oder das eigene Schaffen mit Inspiration, Reflexion und gedanklichem Austausch weiterbringt, kann auf dem schmalen Grad zwischen Erfolg und Misserfolg den Unterschied machen.
"Es wäre eine schöne Sache, wenn wir unser Leben einer in der Nähe des anderen verbringen könnten, hypnotisiert von unseren Träumen, Ihrem patriotischen Traum, unserem humanitären Traum und unserem Wissenschaftstraum. Von all diesen Träumen ist Letzterer der einzige den ich für legitim halte."
Pierre Curie Tweet
Nach der Trauung im Jahr 1895 folgten elf gemeinsame Ehejahre, von denen sie die meiste Zeit zusammen verbrachten. Sie forschten tagein, tagaus im Labor, diskutierten wissenschaftliche Themen, räumten finanzielle und organisatorische Hindernisse aus dem Weg, bekamen zwei Töchter und schließen sogar nachts eng umschlungen miteinander ein. Während es für ihren Wissenschaftstraum ab und an von Vorteil war, dass Pierre als Mann einen anderen Status hatte und mit seiner Stellung an der Sorbonne über wichtige Kontakte verfügte, so war Maries Selbstbewusstsein und Glauben an ihre Fähigkeiten für das Vorantreiben der Forschung essentiell. Für Marie sollte Pierres Tod im Jahr 1906 eine der schmerzhaften Verluste ihres Lebens werden.
Unter Wissenschaftlern gibt es verschiedene Beziehungen. Von Konkurrenz über Missgunst, Respekt und Wohlwollen, Hilfestellung und Austausch ist vieles (und noch mehr) möglich. Mit manchen Kollegen lieferten sich die Curies Wettrennen und veröffentlichten Abhandlungen, die auf den anderen Bezug nahmen oder dessen Ergebnissen widersprachen (wie mit Ernest Rutherford). (20) Mit anderen entstand eine enge Zusammenarbeit. Wohingegen die Mitwirkung von Henri Becquerel – trotz der Sicherung von Stipendien für die Curies und dem gemeinsamen Nobelpreis zur Radioaktivität mit den Curies 1903 – von Spannungen geprägt war, blieb der Chemiker André Debierne 40 Jahre ein treuer Freund und Mitarbeiter von Marie Curie. Fast täglich kam er nach seiner eigentlichen Arbeit in einem Labor an der Sorbonne, bei Marie und Pierre in deren Schuppen vorbei, um die Chemikalien für die Experimente vorzubereiten. (21)
Mit seinem Einsatz für die Curies hat er ein Umfeld für ebendiese geschaffen, indem sie sich auf ihre Tätigkeit konzentrieren konnten. Auch privat war er für sie da: Als Marie im Jahr 1912, nach dem Öffentlichwerden ihrer Affäre mit dem verheirateten Paul Langevin und der daraufhin folgenden Schlammschlacht, einen Zusammenbruch erlitt, kümmerte er sich so gut er konnte um die doch noch kleinen Töchter von Marie. (22) Er soll stellvertretend für alle fachlichen Unterstützer von Marie Curie stehen, von denen es zum Glück einige gegeben hat und ohne die der Weg bestimmt noch steiniger oder gar unmöglich gewesen wäre.
Ein Leben, das so der Wissenschaft gewidmet war und dem sich Vieles unterordnen musste, wie es bei den Eheleuten und Eltern Curie der Fall war, konnte nur durch die Hilfestellung von einer weiteren Person möglich gemacht werden: Dr. Eugène Curie, dem Vater von Pierre. Als Irène, die erste Tochter von Pierre und Marie, auf die Welt kam, versuchte Marie noch Arbeit und Privatleben unter einen Hut zu bekommen und engagiert eine Amme. Das Geld war knapp und ihr wuchsen die Aufgaben über den Kopf. Die Rettung kam in der Person des frisch verwitweten Dr. Curie, der seinem Sohn und der Schwiegertochter anbot, sich um das Baby und den Haushalt zu kümmern und schlussendlich bei ihnen einzog. (23) Bis zu seinem Tod war Dr. Curie für seine Enkelinnen da und eine der wichtigsten Bezugspersonen.
Wiederum gingen die Curies hier einen nicht konventionellen Weg. Selbst heute, über 100 Jahre später, würden wir das als untypische Rollenverteilung wahrnehmen (wie traurig!) und damals war das vollkommen unvorstellbar, dass Männer für die Karriere der Frau zu Hause blieben. Ohne die Unterstützung bei der Kindererziehung hätte Marie vermutlich nicht ihre Dissertation beginnen und die anstrengende Arbeit im Labor tätigen können.
Die ältere Tochter Irène zeigte schon früh ein Interesse an der Arbeit ihrer Eltern und Marie nahm sie mit ins Labor, um mit ihr das eigene Wissen zu teilen. Diese trat, wiederum mit ihrem eigenen Ehemann Frédéric Joliot-Curie, in die Fußstapfen ihrer bekannten Eltern und das jüngere Paar erhielt 1935 den Nobelpreis für die Entdeckung der künstlichen Radioaktivität. (24) Einen Triumph, den Marie Curie leider nicht mehr erleben sollte.
(1) Vgl. S. 217, Deborah Jaffé: Geniale Frauen. Berühmte Erfinderinnen von Melitta Bentz bis Marie Curie, Piper Verlag München, 2008, Abschnitt Wissenschaft und Medizin.
(2) Vgl. S. 12f, Barbara Goldsmith: Marie Curie. Die erste Frau der Wissenschaft, aus dem Amerikanischen von Sonja Hauser, Piper Verlag München, 2010.
(3) Vgl. „Marie Curie: Ich werde dumm sein, solange ich lebe“, S. 102-112, in Peter Braun: Mutige Frauen. Flintenweiber, Königinnen, Kurtisanen, arsEdition München, 2013.
(4) Judith Rauch: Weltstar Marie Curie, in Zeitschrift Emma, 1990: https://www.emma.de/artikel/naturwissenschaftlerinnen-marie-curie-264482 (aufgerufen: 12. Januar 2023)
(5) Vgl. S. 28, Barbara Goldsmith: Marie Curie. Die erste Frau der Wissenschaft, aus dem Amerikanischen von Sonja Hauser, Piper Verlag München, 2010.
(6) Ebd., S. 21f.
(7) Vgl. ebd., S. 33.
(8) Vgl. ebd. S. 40.
(9) S. 62, Ève Curie, Madame Curie: Eine Biographie, Frankfurt am Main, 1952.
(10) Vgl. 110f, „Marie Curie: Ich werde dumm sein, solange ich lebe“, S. 102-112, in Peter Braun: Mutige Frauen. Flintenweiber, Königinnen, Kurtisanen, arsEdition München, 2013.
(11) Vgl. S. 45f, Barbara Goldsmith: Marie Curie. Die erste Frau der Wissenschaft, aus dem Amerikanischen von Sonja Hauser, Piper Verlag München, 2010.
(12) S. 109, Susan Quinn, Madame Curie – Eine Biographie, Frankfurt am Main/Leipzig, 1999.
(13) Vgl. Mihály Csíkszentmihályi: Kreativität. Wie Sie das Unmögliche schaffen und Ihre Grenzen überwinden, Klett-Cotta Stuttgart, 2010.
(14) S. 14, Marie Curie: Pierre Curie, Wien 1950, englische Ausgabe.
(15) Vgl. S. 68, Barbara Goldsmith: Marie Curie. Die erste Frau der Wissenschaft, aus dem Amerikanischen von Sonja Hauser, Piper Verlag München, 2010.
(16) Vgl. ebd. S. 94.
(17) Ebd. S. 89.
(18) Vgl. Roy Porter, The Greatest Benefit to Mankind, Harper Collins, 1997, S. 240.
(19) S. 53, Barbara Goldsmith: Marie Curie. Die erste Frau der Wissenschaft, aus dem Amerikanischen von Sonja Hauser, Piper Verlag München, 2010.
(20) Vgl. ebd. S. 100.
(21) Vgl. ebd. S. 80f.
(22) Vgl. ebd. S. 176ff.
(23) Vgl. ebd. S. 64.
(24) Vgl. ebd. S. 218f.